Die Differentialdiagnose einer Thrombocytopenie ist breit – ganz banal kann es sich um eine Pseudothrombopenie handeln, Virusinfekte wie CMV, EBV sind möglich, eine Splenomegalie jeglicher Ursache kann aufgrund des Poolingszu einer Tc-Penie führen. Ebenso könnte es sich um eine Hämodilution(bei stabilem HB hier unwahrscheinlich), eine thrombotische Mikroangiopathie (HUS/TTP), oder eine ITP handeln – die Liste ist nicht abschliessend. Aufgrund des Verlaufes (akuter Tc-Abfall, keine Fragmentocyten etc.) kommen aber diese und auch viele andere DDs nicht in Frage. Diskutiert wurde von unseren Kollegen deswegen vor allem eine medikamentöse Ursache: gedacht haben sie dabei an Co-Amoxicillin oder (das nicht erwähnte, aber im Kardex entdeckte) niedermolekulare Heparin.
Wie alle Penicilline kann auch Co-Amoxicillin zu einer Leukopenie/ Thrombocytopenie führen. Da in unserem Fall die Leukocytenzahl aber normal geblieben ist, erscheint diese Ursache als unwahrscheinlich.
Aufgrund des raschen Abfalls muss eine heparininduzierte Thrombocytopenie (HIT) Typ 2 postuliert werden. Diese immunvermittelte Thrombocytopenie tritt typischerweise nach dem 5. Hospitalisationstag auf zeigt ein stark erhöhtes thromboembolisches Risiko.
Exkurs: Die HIT Typ 1 manifestiert sich (im Gegensatz zur Typ 2) in den ersten 2 Tagen und ist nicht immunvermittelt. Es besteht kein erhöhtes Thromboserisiko und ist spontan reversibel (Heparin kann belassen werden). CAVE: ein Patient, der bereits früher Heparin erhalten hat, kann eine HIT 2 auch bereits am 2. / 3. Hospitalisationstag entwickeln.
Auf der Visite wurde gemeinsam der 4T Score (Cuker A, Blood 2012) bestimmt: Mit dem Abfall grösser 50% (T für Thrombocytenabfall: 2 Punkte), zeitlich innerhalb 6 Tage manifestiert (T für Timing: 2 Punkte), erythematösen Hautveränderungen (T für Thrombose oder andere HIT-Folgen: 1 Punkt) und keine andere Ursache für die Thrombocytopenie ersichtlich (T für Trigger: 2 Punkte), erreicht unser Patient eine Gesamtpunktzahl von 7 Punkten. Dies entspricht einer hohen Pre-Test-Wahrscheinlichkeit und die HIT-Antikörper werden bestimmt.
Heparin muss gestoppt werden. Die weitere Antikoagulation ist aufgrund des hohen thromboembolischen Risikos bei HIT 2 zwingend und wird mit Argotroban (oder Bivalirudin, Fondaparinux) fortgesetzt – eine andere Thromboseprophylaxe (NOAK, mechanisch, Vit-K-Agonisten) kann in dieser Situation nicht eingesetzt werden. Erst im Verlauf wird überlappend mit Marcoumar gestartet.
Engramm: Bei schnellem Abfall der Thrombocytenzahl bei hospitalisierten Patienten an die HIT denken: Die gefährliche HIT 2 tritt typischwerweise nach dem 5. Hospitalisationstag auf, im Gegensatz zur HIT 1, die nach 2-3 Tagen auftritt und spontan reversibel ist (Heparin kann belassen werden).