Laborwerte II: Bauchlabor

(…) kein einziges medizinisches Testresultat kann ohne Berücksichtigung der Vortestwahrscheinlichkeit interpretiert werden. Um mit H.C. Sox zu sprechen: „If you once accept this principle, life will never be the same again.“

Rudolf Speich

Engramme zu ausgewählten Laboruntersuchungen

Generell gilt: Jedes Testresultat ist nur im Kontext der Vortestwahrscheinlichkeit („clinical gestalt“) interpretierbar. Oder anders: es wird immer Ärzte an der Front brauchen, welche abnorme Laborwerte im Kontext von klinischer Präsentation und Kofaktoren interpretieren.

Die Vortestwahrscheinlichkeit wird unter Zuhilfenahme aller verfügbaren Informationen und vor der Bestimmung des Laborwertes formuliert. Die Nachtestwahrscheinlichkeit ergibt sich aus der Vortestwahrscheinlichkeit und den spezifischen Eigenschaften des jeweiligen Tests.

Leberwerte

Die Funktion der Leber wird mittels Albumin, Bilirubin und INR bestimmt – eine Hepatopathie bzw. ein Leberschaden mittels Transaminasen (AST, ALT), alkalischer Phosphatase und gamma-GT. Die Sensitivität all dieser Enzyme ist allerdings beschränkt: Ein Zirrhotiker kann normale Leberwerte aufweisen. Umgekehrt finden sich erhöhte Werte für AST, ALT und ALP auch bei vielen anderen Erkrankungen – sie sind nicht organspezifisch.

Die wichtigsten Fragen bei erhöhten Leberwerten sind: ist der Patient symptomatisch? handelt es sich um ein akutes oder ein chronisches Geschehen? Zeigt sich ein cholestatisches Muster (ALP >> AST und ALT) oder ein hepatozellulärer Schaden (AST und ALT >> ALP). Beim oligo-/ asymptomatischen Patienten kann die Diagnose in aller Regel nicht-invasiv gestellt werden – spezifische Tests sollten anhand von Vortestwahrscheinlichkeit und Anamnese (Medikamente inkl. OTC, Vitaminpräparate, Herbal Remedies, Blutprodukte; Alkohol; Familienanamnese; Haut- und Gelenksymptome) ausgewählt werden.

Das Muster der Transaminasen-Erhöhung („de Ritis-Quotient“) kann hinweisend sein in der ätiologischen Differenzierung von Hepatopathien: Bei ethyltoxischer Genese findet sich typischerweise AST/ ALT > 2. Auch nach exzessivem Sport oder einem Krampfanfall mit Rhabdomyolyse findet sich ein hoher De-Ritis-Quotient. Zu beachten sind die unterschiedlichen Halbwertzeiten der Transaminasen (ALT 47h;  AST 17h), so dass sich der de Ritis-Quotient im Verlauf der Hospitalisation unter Alkoholkarenz innerhalb weniger Tage umkehren kann.

Als relativ leberspezifischer Wert genügt es – zB zur frühzeitigen Identifikation medikamentöser Lebertoxizität – die ALT zu monitorisieren. Unklare erhöhte ALT-Werte finden sich u.a. bei der Zöliakie, bei endokrinologischen Erkrankungen (Hypothyreose, M. Addison) und bei Myopathien.

Die Differentialdiagnose für Transaminasen-Erhöhungen > 1000 U/l beinhaltet u.a.

  • Gallensteinabgänge (zeitlich vor (!) dem Anstieg cholestatischer Marker)
  • Virale Hepatitiden (ALT/LDH > 1.5)
  • Ischämische Ereignisse (ALT/LDH < 1.5)
  • Medikamentös-toxische Schädigungen

Seltenere Ursachen sind Autoimmunhepatitiden und ein M. Wilson (typische Konstellation: AST/ALT >2.2 und tiefnormale ALP).

Massiv erhöhte Werte (> 10’000 U/l) finden sich praktisch nur bei ischämischen Ereignissen und bei Intoxikation (Paracetamol). Eine ALT-Erhöhung > 150 U/l im Rahmen einer Pankreatitis spricht für eine biliäre Genese. Ein rechtsventrikuläre Problematik („Stauungshepatopathie“) führt zu einem cholestatischen Muster der Enzymerhöhung.

gGT

Hohe Sensitivität für hepatobiliäre Erkrankungen bei allerdings geringer Spezifität. Hilfreich bei hoher Vortestwahrscheinlichkeit für eine Leberaffektion bei ansonsten normalen Leberwerten und zur Differenzierung des Ursprungs einer unklaren ALP-Erhöhung (Knochen, Plazenta versus Leber) bzw. zur Abgrenzung einer hepatischen bzw. muskulär bedingten Transaminasen-Erhöhung

Ferritin

Ferritin ist die hepatische Speicherform des Körpereisens. Als Biomarker kommt es beim Eisenmangel und bei Vd.a. Hämochromatose zum Einsatz. Ferritin-Werte > 100mcg/l schliessen einen relevanten Eisenmangel auch bei gleichzeitigem Vorliegen einer Entzündung aus. Die Bestimmung von Serumeisen ist in der Regel sinnlos.

Erhöhte Ferritinwerte finden sich bei der Hämochromatose („usually >1000mcg/l“; Transferrinsättigung > 45%), bei Leberzellnekrosen, rheumatologischen Erkrankungen (M. Still, rheumatoide Arthritis), Lymphom, Hyperthyreose und schwerer Niereninsuffizienz mit Urämie. Exzessiv erhöhte Ferritinwerte (im fünfstelligen Bereich) sprechen für ein Hämophagozytose-Syndrom.  

Eine Ferritin-Bestimmung unmittelbar nach Eisengabe und Erythrozytentransfusionen ist sinnlos. Da Serumwert und Speichereisen erst im Verlauf nach intravenöser Substitution wieder korrelieren, sollte mit der entsprechenden Kontrolle 8-12 Wochen zugewartet werden.

Coeruloplasmin

Häufig der erste Schritt in der Abklärung hinsichtlich eines möglichen M. Wilson. Werte <20mg/dl sind suggestiv. Die Konstellation junge Frau, akutes Leberversagen, tiefnormale ALP erhöht die Vortestwahrscheinlichkeit.

Wird allerdings viel zu häufig und undifferenziert bestimmt. „The majority of the serum ceruloplasmin was measured in patients not indicated by the guidelines, resulting in poor test performance and wasted healthcare resources.“  (Tapper Am J Med 2013). Patienten, die sich > 40 Jahre mit einem M. Wilson präsentieren, sind eine Rarität.

Amylase/ Lipase

Bei akuten Pankreatitiden haben Amylase und Lipase einen vergleichbaren diagnostischen Stellenwert – bei der alkoholbedingten Pankreatitis ist die Lipase etwas sensitiver, bei der biliären Pankreatitis die Amylase. Die Spezifität der Lipase ist aber insgesamt grösser, so dass generell die Lipase bestimmt werden sollte. Keinen diagnostischen Mehrwert bringt die gleichzeitige Bestimmung beider Marker. 

Literatur

  • Speich R, Schw Med Wochenschr 1998; 128:599-601
  • HC Sox, Medical Decision Making; Boston. Butterworths; 1988
  • Tapper EP, J Hepatol 2017; 66:313–9
  • Tapper EP, Am J Med 2013; 126:926.e1-5
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  • Baumann Kurer S et al, Br J Hematol 1995; 91(4):820-6
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  • Kramer MR, J Heart Lung Transplant 1991; 10:317-21
  • Hunziker S et al, Swiss Medical Forum 2020
  • Jacques Wallach, Handbook of Interpretation of Diagnostic Tests; Philadelphia, 1998
Verfasst von:
Lars C. Huber

Lars C. Huber ist Internist und Pneumologe. Als Kaderarzt war er im Spital Lachen und im UniversitätsSpital Zürich tätig. Heute leitet Lars C. Huber das Departement Innere Medizin im Stadtspital Waid & Triemli und ist Chefarzt der Klinik für Innere Medizin am Standort Triemli in Zürich.

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