Laborwerte IV: Thrombophilie bei VTE

(…) kein einziges medizinisches Testresultat kann ohne Berücksichtigung der Vortestwahrscheinlichkeit interpretiert werden. Um mit H.C. Sox zu sprechen: „If you once accept this principle, life will never be the same again.“

Rudolf Speich

Engramme zu ausgewählten Laboruntersuchungen

Generell gilt: Jedes Testresultat ist nur im Kontext der Vortestwahrscheinlichkeit („clinical gestalt“) interpretierbar. Oder anders: es wird immer Ärzte an der Front brauchen, welche abnorme Laborwerte im Kontext von klinischer Präsentation und Kofaktoren interpretieren.

Die Vortestwahrscheinlichkeit wird unter Zuhilfenahme aller verfügbaren Informationen und vor der Bestimmung des Laborwertes formuliert. Die Nachtestwahrscheinlichkeit ergibt sich aus der Vortestwahrscheinlichkeit und den spezifischen Eigenschaften des jeweiligen Tests.

Venöse Thromboembolie: Allgemeine Prämissen

Es gibt keine guten Daten zum Nutzen einer Thrombophilietestung oder zu Therapieentscheiden basierend auf einer solchen Testung. Gerinnungsabklärungen werden demnach viel zu häufig durchgeführt. Ihre Wertigkeit im klinischen Alltag ist fraglich.

Das Rezidivrisiko nach einer ersten Episode einer unprovozierten VTE ist hoch und nimmt kumulativ stetig zu: es beträgt im ersten Jahr rund 10% und steigt im weiteren Verlauf (kumulativ) auf 16% im zweiten, 25% im fünften und 36-50% im zehnten Jahr nach Ereignis. Ein substantieller Anteil dieser Rezidive (5%) verläuft fatal: für den einzelnen Patienten bedeutet dies ein kumulatives Risiko von 1.5% über zehn Jahre an einer Rezidiv-VTE zu versterben.

Ebenso ist das Risiko für ein Rezidiv bei einer provozierten VTE erhöht – dies trifft mit Ausnahme von thromboembolischen Ereignissen nach einem chirurgischen Eingriff (Rezidivrisiko „0%“) auch für transiente Provokationsfaktoren zu (z.B. Flugreisen, Immobilisation, Schwangerschaft).

Das Auftreten einer VTE bei diesen „Gesunden“ widerspiegelt damit eine thromboembolische Diathese, demaskiert durch das (transiente) Einwirken eines Risikofaktors. Diese Prämisse – konsequent zu Ende gedacht – legt nach jeder VTE eine prolongierte Antikoagulation ohne definiertes Stoppdatum nahe. Dies gilt ganz besonders für unprovozierte Ereignisse. Eine allfällige Thrombophilie-Testung und deren Resultate beeinflussen diese Überlegungen in der Regel nicht.

Venöse Thromboembolie: Engramme (Details siehe Ref. 5)
  • Obwohl Patienten mit hereditärer Thrombophilie ein erhöhtes Risiko für eine erste venöse Thromboembolie haben, zeigt die Studienlage keinen Unterschied in der Rezidivrate von venösen Thromboembolien zwischen Patienten mit/ ohne Thrombophilie bzw. zwischen Patienten mit/ ohne durchgeführter Gerinnungsabklärung
  • Eine hereditäre Thrombophilie kann meistens durch die Anamnese und die persönliche Vorgeschichte diagnostiziert werden, ohne dass dazu eine Thrombophilieabklärung durchgeführt werden muss. Hinweise dafür sind zum Beispiel: VTE in jungem Alter, mehrere Ereignisse in der Familie, VTE an untypischer Lokalisation
  • Patienten mit einer klaren Familienanamnese haben auch bei negativem Thrombophilie-Screening ein erhöhtes Risiko für eine VTE
  • Falsch-positive Resultate führen zu einer Überbehandlung; falsch-negative Resultate führen zu einer falschen Sicherheit
  • Es gibt keine Daten, dass Patienten mit nachgewiesener Thrombophilie anders behandelt werden sollten als Patienten ohne Thrombophilie. Dies gilt für das prophylaktische als auch das therapeutische Setting
  • Ein Faktor-V-Leiden und eine Prothrombin-Gen Mutation – mitunter die häufigsten Thrombophilien – beeinflussen das Rezidivrisiko für eine VTE nicht
  • Bei Frauen mit Kontrazeptiva-assoziierter VTE sind Rauchen und Adipositas grössere Risikofaktoren für eine Rezidiv-VTE als eine positive Gerinnungsabklärung
  • Frauen unter Kontrazeption mit Thrombophilie haben das gleiche Risiko für eine VTE wie Frauen unter Kontrazeption ohne hereditäre Thrombophilie
  • Das therapeutische Management (Art, Dauer) einer VTE ist unabhängig vom Resultat einer Thrombophilietestung

„The definition of an unnecessary test is one where neither a positive result nor a negative result will change management“

Mark B. Reid, Medical Axioms (Axiom 383)

Literatur

  1. Speich R, Schw Med Wochenschr 1998; 128:599-601
  2. HC Sox, Medical Decision Making; Boston. Butterworths; 1988
  3. Khan et al, BMJ 2019; 366:l4363
  4. Albertsen et al, Am J Med 2018; 131:1067-74
  5. Connors JM, N Engl J Med 2017; 377:1177-87
Verfasst von:
Lars C. Huber

Lars C. Huber ist Internist und Pneumologe. Als Kaderarzt war er im Spital Lachen und im UniversitätsSpital Zürich tätig. Heute leitet Lars C. Huber das Departement Innere Medizin im Stadtspital Waid & Triemli und ist Chefarzt der Klinik für Innere Medizin am Standort Triemli in Zürich.

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